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Des Dichters Sehnsucht

Mit Pergament und Federkiel saß Mika auf der Fensterbank und blickte verträumt in die Landschaft, die sich hinter seinem kleinen Reetdachhaus erstreckte. Von Weitem vernahm er das Rauschen des Meeres und voller Genuss atmete er die frische Luft dieses ersten milden Frühlingsmorgens tief ein.

Mit geschlossenen Augen lauschte der junge Dichter dem lieblichen Zwitschern der Vögel und lehnte sich entspannt gegen den hölzernen Rahmen des Fensters.

Die Idylle schien perfekt, doch war sie es nicht.

Eines gab es, wonach sich der junge Mann seit einer gefühlten Ewigkeit sehnte. Etwas, das bereits viel Platz in seinen Gedichten einnahm, jedoch nicht in seinem Leben.

Liebe!

Beinah jeden Tag inspirierte ihn seine Umgebung dazu, Gedichte über die Liebe zu verfassen. Ebenso häufig versuchte er sich vorzustellen, wie es wohl sein mochte, wahrhaftig zu lieben und geliebt zu werden.

Nach allem, was er erlebt hatte, sehnte er sich kaum nach etwas mehr.

Traurig öffnete er wieder die Augen, blickte auf die blauen Flecke an seinen Armen und dachte an den Mann, der ihm das angetan hatte …

Es war später Abend. Tius, Mikas Gefährte, war gerade von der Arbeit heimgekehrt und verspürte großen Hunger.

»Das schmeckt grauenvoll«, sagte er gereizt und ließ geräuschvoll das Besteck fallen. Erschrocken zuckte Mika zusammen. »Verzeih«, murmelte er eingeschüchtert und senkte den Blick.

»Den ganzen Tag sitzt du nur zu Hause rum und kritzelst dummes Zeug, da könntest du wirklich langsam mal kochen lernen«, fuhr Tius ihn an und stand auf. Er griff nach seiner Jacke und schritt auf die Haustür zu.

»Wohin gehst du?«, fragte Mika vorsichtig.

»In die Taverne. Hoffentlich bekomme ich dort etwas Anständiges zu essen.«

Mit diesen Worten verschwand der Mann, der nur wenig älter als Mika war, zur Tür hinaus.

Missmutig atmete der Zurückgelassene aus und begann den Tisch abzuräumen. Ihm war, wie so oft, der Appetit vergangen und so landete auch dieses Abendessen im Abfall.

Traurig und erschöpft lag Mika im Bett und dachte an all die Grausamkeiten, die er immer wieder durch Tius erdulden musste. Dieser hatte ihm schon oft sowohl seelische als auch körperliche Schmerzen zugefügt. Immer wieder fragte Mika sich, wie er all das nur ertragen konnte oder weshalb er es sich schon so lange gefallen ließ. Seine Angst vor dem, was geschehen könnte, würde er Tius verlassen, lähmte ihn jedoch zu sehr, um diesen Schritt tatsächlich zu wagen.

Mitten in der Nacht wurde er durch lautes Poltern geweckt. Ohne nachzusehen, wusste er, dass es sein Gefährte war, der wieder einmal betrunken aus der Taverne zurückkehrte.

Die Müdigkeit wich und Angst machte sich in Mika breit. Er hoffte inständig, dass Tius zu betrunken oder zu erschöpft sein würde, um seinen Frust weiter an ihm auszulassen. Doch war diese Hoffnung vergebens.

»Mika!«, hörte er ihn aus der Küche rufen, reagierte jedoch nicht darauf.

»Bitte fall einfach bewusstlos in der Küche um«, flüsterte er kaum hörbar und zog sich die Decke über den Kopf.

Ein Knarzen verriet ihm, dass die Tür zur Schlafkammer geöffnet wurde. Sein Herz raste. Sein Gefährte zog die Decke weg, sodass der junge Mann erschrocken aufschrie.

»Zieh dich aus!«, wies Tius ihn in herrischem Befehlston an.

»Bitte, ich möchte schlafen«, murmelte er verängstigt.

»Du kannst nicht kochen und willst nicht mit mir das Bett teilen. Wozu bist du denn überhaupt nütze?« Wutentbrannt stieg der Betrunkene auf die Schlafstätte und ergriff Mika grob an den Handgelenken. Der versuchte sich loszureißen, nur war er seinem deutlich stärkeren Gefährten hoffnungslos unterlegen.

Von Wut und Alkohol getrieben, machte Tius sich Mika zu Willen und nahm ihn grausam auf dem gemeinsamen Bett.

Von Mikas Schreien aufgeschreckt, erwachte eine fürsorgliche Nachbarin. Beunruhigt rüttelte sie ihren Gatten wach und machte sich eilig daran, nach dem Rechten zu sehen.

Energisch klopfte das etwas ältere Ehepaar an die Tür zu Tius` Haus und unterbrach ihn dadurch bei seiner schändlichen Tat.

Er ließ von Mika ab und schritt auf den Eingang zu.

»Was wollen Sie?«, sagte er in unhöflichem Ton, als er die Tür aufriss.

»Es ist mitten in der Nacht und Sie wecken die gesamte Nachbarschaft mit ihrem Lärm«, entgegnete der großgewachsene, muskulöse Mann entrüstet. Seine Gattin schob ihn beiseite und trat an Tius heran.

»Ich weiß genau, was Sie dort drinnen treiben und ich werde nicht länger tatenlos dabei zusehen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, betrat die in einen Morgenmantel gehüllte Dame selbstsicher das Haus und suchte nach Mika.

Tius wollte sie aufhalten, doch ging ihr Gatte dazwischen.

»Finger weg von meiner Frau!«, fuhr er ihn bedrohlich an und Tius zuckte zurück.

Auf dem Bett fand sie den verängstigten jungen Mann, von blauen Flecken übersäht und mit blutender Unterlippe. Von dessen Anblick erschrocken, setzte die liebevolle Frau sich zu ihm und nahm ihn in den Arm.

»Alles wird gut. Ziehen Sie sich etwas über, ich werde Sie mit zu mir nehmen«, sagte sie mit ruhiger Stimme und half Mika auf.

Mit zittrigen Beinen stützte er sich auf sie, als sie gemeinsam den Weg zur Haustür beschritten.

»Was bilden Sie sich ein?«, brüllte Tius voller Wut, als er sah, wie die beiden das Haus verlassen wollten.

»Er gehört mir.« Mit einer Hand ergriff er Mika am Oberarm und wollte ihn wieder zu sich ziehen, doch da schritt abermals der Nachbar ein und schob sich dazwischen.

»Ist das Ihr Werk?«, fragte er und deutete auf Mikas Wunden.

»Das hat Sie nicht zu interessieren«, fuhr Tius sein Gegenüber an und versuchte sich bedrohlich vor ihm aufzubauen.

»Ich lasse mich von Ihnen nicht einschüchtern. Der Junge kommt jetzt mit uns und ich werde dafür sorgen, dass Sie das Tageslicht in Zukunft nur noch vergittert genießen dürfen.« Ohne seinen drohenden Blick von dem betrunkenen Täter abzuwenden, schob er seine Frau mit Mika zur Tür hinaus.

Fassungslos starrte Tius ihnen hinterher.

»Sie glauben, Sie können mir drohen?«, brüllte er so laut, dass es durch die ganze Straße hallte. »Das werden Sie noch bereuen. Ich werde ihn mir wiederholen.«

Ohne Tius noch weitere Beachtung zu schenken, ging das Ehepaar mit Mika zurück in ihr Haus und verschloss die Tür so fest es ging.

»Haben Sie keine Angst. Er kann Ihnen nichts mehr anhaben«, sagte die Dame mit ruhiger Stimme und lächelte Mika zuversichtlich an.

»Setzen Sie sich. Ich koche uns erstmal eine schöne Tasse heißen Tee«, fügte sie noch immer lächelnd an und deutete auf einen Stuhl.

»Ich danke Ihnen«, flüsterte Mika müde und kraftlos, doch auch unendlich dankbar.

…Nach so langer Zeit, in der er die Gewalttaten seines Gefährten ertragen hatte, war nun endlich jemand dazwischen getreten und hatte ihn befreit. Dankbar versuchte Mika seine neugewonnene Freiheit zu genießen. Seine hilfsbereiten Nachbarn hatten für ihn etwas getan, das er aus eigener Kraft wahrscheinlich nie geschafft, sich nicht mal getraut hätte. Und auch, wenn ihm seine Lebensretter sehr fehlten, war es doch die richtige Entscheidung gewesen, seine Heimatstadt zu verlassen und ein neues, eigenständiges Leben am Meer zu beginnen.

Weit weg von Tius durchströmte ihn nun ein ganz neues, seltsames und dennoch schönes Gefühl. Er war frei. Sicher würden seine Verletzungen bald ganz verheilt sein und die blauen Flecke verschwinden. Doch die Narben auf seiner Seele sowie die vielen schlimmen Erinnerungen, mit denen er zu leben lernen musste, würden auf ewig bleiben.

Und vielleicht würde eines Tages ein Mensch in sein Leben treten, der ihm helfen wird zu vergessen.

Ende

Copyright © 2023 Akela Fisher

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Lektorat:

„Die Flinke Feder“

Content Note: Angedeutet – sexuelle Gewalt in einer Beziehung