REMEMBER MY BRAVE Leseprobe

Miras, völlig besessen davon, Ramos in Schwierigkeiten zu bringen, zog am späten Vormittag eines seiner Lieblingskleider an, schminkte und frisierte sich aufwendig und begab sich in die Stadt. Die Tür zu seinem Schlafgemach ließ er offen stehen, dass jeder sofort sehen konnte, dass er nicht da war.
Ramos ging los, um den Prinzen zum Mittagessen abzuholen und blieb wie angewurzelt vor dessen Gemach stehen. »Verdammt, wo ist der Junge nur wieder?«, fluchte er leise und überlegte, was er nun am besten tun sollte. Es dem König erzählen wäre nicht gut, das könnte ihn seine Stellung kosten. Also brauchte er eine Ausrede, weshalb der Prinz nicht zum Essen erscheinen konnte.
Er ging zurück in den Speisesaal, ohne Miras. Das Königspaar sah ihn verwundert an.
»Mit Verlaub, Eure Majestät, der Prinz fühlt sich nicht gut. Ich habe ihn erst einmal ins Bett geschickt. Ich glaube, er hat ein bisschen Fieber«, log er, sichtlich stolz darüber, dass es so authentisch wirkte.
Der König nickte bloß. »Dann kümmere dich um ihn«, sagte er und wandte sich wieder seinem Essen zu. Ramos verließ den Raum und wanderte durch das Schloss, in der Hoffnung, den Prinzen doch noch irgendwo zu finden.

Am Nachmittag kam Miras wieder zurück. Als er sich gerade umziehen wollte, ging die Tür zu seinem Gemach auf und der König trat ein. Er hatte nach seinem Sohn sehen wollen. Doch was er zu sehen bekam, ließ ihn den Atem anhalten.
»Wo willst du in diesem Aufzug hin?«, rief er wütend und warf die Tür ins Schloss.
»Ich will nirgendwo hin, ich komme gerade wieder«, sagte der Prinz, in der Hoffnung, Ramos in Schwierigkeiten zu bringen.
»Und wo warst du? Ich denke, du bist krank?«
»Krank? Wer hat Euch das erzählt? Es geht mir sehr gut. Ich war in der Stadt, bin ein bisschen über den Markt gelaufen«, sagte er seelenruhig.
»In der Stadt? In dem Aufzug?« Der König lief rot an vor Wut.
»Ja«, sagte Miras deutlich.
»Du wagst es, deine Familie so bloßzustellen. Warte, bis deine Mutter dich so sieht. Du kommst sofort mit«, sagte er mit knirschenden Zähnen.
»Nein«, kam die bloße Antwort von Miras.
»Wie bitte? Wie kannst du es wagen, mir in deiner Situation zu widersprechen?« Er packte seinen Sohn grob am Arm und zog ihn hinter sich her.
»Aua, Ihr tut mir weh«, jammerte der Prinz und versuchte, mit seinem Vater Schritt zu halten.
Der zog ihn in den Thronsaal und präsentierte ihn der Königin. »Sieh dir an, wie dein Sohn wieder rumläuft«, rief er wütend. Die Königin erhob sich von ihrem Platz.
»Miras …«, sagte sie leise.
»Mutter, ich …«, begann der Prinz, doch wurde er von seinem Vater unterbrochen.
»Schweig! Du bist eine Schande für diese Familie, das kann ich keine Sekunde länger dulden.«
»Solang ihn doch keiner so sieht«, mischte die Königin sich zweifelnd ein.
»Er treibt sich so draußen auf den Straßen rum«, schrie er sie an.
»Mein Sohn, wenn dich einer sieht.« Die Königin war fassungslos, hatte sie ihren Sohn doch bisher noch nicht in diesem Aufzug gesehen.
»Es erkennt mich doch keiner«, versuchte Miras zu erklären.
»Und wenn doch?«, schrie der König weiter. »Mejro wusste das, nicht wahr? Er hat dich damit auch noch unterstützt, um unser Königreich zu stürzen.«
»Das ist nicht wahr. Mejro wollte mich immer davon abbringen«, warf Miras ein.
»Jetzt übertreibst du aber, mein König. Was traust du dem Jungen denn zu und deinem Sohn? Was hätte er davon, wenn wir im Ruin wären?«, sagte die Königin zu ihrem Mann.
»Er ist nicht länger mein Sohn. … Oder soll ich lieber sagen, sie ist nicht länger meine Tochter? Denn das scheinst du ja sein zu wollen.«
»Oh nein, eine Tochter vielleicht, aber gewiss nicht Eure«, sagte Miras aufgebracht.
»Das kannst du haben. Sieh zu, dass du von hier verschwindest. Ich verbanne dich aus dieser Familie und aus meinem Königreich. Geh doch wieder zu deinem kleinen Flittchen oder zu diesem Prinz Varuya. Der hat dir doch so gefallen.«
»Soweit ich weiß, hat Mejro Euch auch sehr gefallen, Eure Hoheit«, gab der Prinz trotzig von sich. Es klatschte einmal laut und Miras ging zu Boden. Der König hatte ihn geschlagen. Die Königin lief nun aufgebracht zu ihrem Sohn und wollte ihn in den Arm nehmen.
»Lasst mich.« Miras schubste sie von sich.
»Mein König, Ihr könnt doch nicht Euren eigenen Sohn ins Exil verbannen«, sagte sie verzweifelt.
»Ich habe keinen Sohn«, kam es kalt vom König und er verließ den Saal.
»Aber Vater, …«, versuchte der Prinz ihn noch aufzuhalten, denn erst jetzt wurde ihm bewusst, wie ernst der König es gemeint hatte und das machte ihm Angst. Miras stand auf und ohne noch einmal auf seine Mutter zu achten, lief er aus dem Schloss, vom Hof hinunter und in die Stadt.

Die Königin weinte bitterlich. Sie liebte ihren Sohn. Ihr einziges Kind. Natürlich hatte sie ein anderes Verhältnis zu diesem wie andere Mütter. Sie hatte ihn nie selbst gestillt, nicht erzogen, nicht mit ihm gespielt als er klein war, sich seine Sorgen niemals angehört und dennoch, sie hatte ihn neun Monate unter ihrem Herzen getragen, sie hatte ihn unter Schmerzen geboren und sie hatte ihn aufwachsen sehen. Egal, was er machte, sie war immer stolz auf ihn, wie es wahrscheinlich jede liebende Mutter wäre.