Nie wirst du entkommen
Nur ein kleiner Strahl gleißenden Mondlichtes erhellte die kalte, steinerne Kerkerzelle, in der sich der junge Mann befand. Obwohl die Gittertür fest verschlossen war, trug er eine eiserne Manschette um sein schmales Sprunggelenk, mit der er über einer in der Wand verankerten Kette an jeder Fluchtmöglichkeit gehindert wurde. Ganze drei Tage saß er schon auf dem kalten, mit Stroh nur leicht bedeckten, Steinboden. Er hatte es mittlerweile aufgegeben, sich befreien zu wollen. Die eiserne Manschette hatte seine weiche Haut bereits wund und blutig gescheuert. Doch Schmerzen spürte er kaum. Sein ganzer Körper fühlte sich von der Kälte beinah taub an. Doch das alles kümmerte ihn nicht, denn er verspürte eine große Angst tief in sich. Er wusste nicht, weshalb man ihn eingesperrt hatte, noch was man von ihm wollte. Ob man ihn einfach hier verhungern oder erfrieren lassen würde? Er wusste nicht einmal, wer ihn eingesperrt hatte. Er konnte sich an nichts erinnern. Nicht einmal, wie er hierhergekommen war.
Er hörte, wie eine Tür aufgeschlossen wurde, dann folgten schwere, laute Schritte auf dem Gang, die immer näher zu kommen schienen. Verängstigt zog er sich in eine dunkle Ecke zurück, doch verstecken konnte er sich nicht. Ein sehr großer Mann, mit breiten Schultern und einer schwarzen Maske über dem Gesicht, schloss die Gittertür auf und trat in die Kerkerzelle ein.
Er stellte dem jungen Mann einen Krug mit Wasser und ein Stück altes Brot auf einem Tablett hin und wandte sich zum Gehen.
„Bitte …“ Der junge Mann nahm all seinen Mut zusammen und sprach ihn mit zittriger Stimme an.
„Bitte sagt mir, warum ich hier bin.“
„Du bist hier, weil der Meister dich begehrt“, antwortete eine tiefe bedrohlich klingende Stimme monoton.
„Der Meister?“, fragte der Gefangene leise.
„Er wird bald nach dir verlangen, dann werde ich dich holen“, fügte der Mann mit der Maske an und verschwand.
Der Gefangene trank und aß hastig. Er hatte die letzten Tage nichts bekommen und so war der Hunger groß. Als er langsam müde wurde, rollte er sich so klein zusammen, wie er konnte, um möglichst wenig seiner eigenen Körperwärme zu verlieren. Mit dem Rücken an die Wand gelehnt schlief er bald ein und erwachte erst wieder, als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne durch das kleine, vergitterte Fenster der Kerkerzelle fielen. Er warf einen Blick auf sein linkes Sprunggelenk. Es war blutverschmiert. Frisches Blut. Offenbar hatten die Fesseln über Nacht seine Haut erneut aufgescheuert. Seine Kleidung war schmutzig und kaputt. Doch viel trug er nicht. Eine schwarze Hose und ein Hemd, das einst weiß gewesen war. Seine haselnussbraunen Haare waren zerzaust und hingen ihm strähnig im Gesicht.
Der Tag verging. Langsam wurde es dunkel in der Zelle. Der junge Mann war den ganzen Tag über allein gewesen, niemand war vorbeigekommen. Auch waren, wie die Tage zuvor, keinerlei Geräusche aus den anderen Kerkerzellen zu hören gewesen, nicht einmal das Zwitschern irgendwelcher Vögel drang durch das vergitterte Fenster.
Als das Mondlicht wieder in die Kerkerzelle schien, hörte er erneut die schweren Schritte im Gang näherkommen. Derselbe Mann wie in der Nacht zuvor betrat sein Gefängnis und stellte ihm wieder Wasser und Brot hin.
„Bitte sagt mir, wo ich hier bin“, flehte er und sah den Mann mit seinen großen, braunen Rehaugen ängstlich an.
„Im Schloss des Meisters“, war die knappe Antwort und schon wurde der Gefangene wieder alleingelassen. Während er aß und trank, dachte er über die Worte des Fremden nach. Er war also im Kerker eines Schlosses eingesperrt, doch Schlösser gab es viele. Er hatte gehofft, Näheres von seinem Kerkermeister zu erfahren, doch leider sprach der bislang nur in Rätseln.