Narai stand auf einem kleinen Hügel am Rande eines in vollem Korn stehenden Feldes.
Varmuntis war am Horizont kaum noch zu erkennen, soweit hatte er sich mittlerweile von seiner Heimatstadt entfernt. Er atmete tief durch. Mit einem letzten Blick auf seine alte Heimat wandte er ihr endgültig den Rücken zu und setzte seinen Weg fort.
Als die Sonne unterging, erreichte er einen Wald und kletterte auf einen hohen Baum, um sich dort schlafen zu legen. Er beobachtete, wie die Sonne am Horizont verschwand und es langsam dunkel wurde.
Doch anstatt zu schlafen fiel sein Blick in den sternenklaren Himmel und er dachte an Anca. Ob er sie jemals wiedersehen würde? Und wie es ihr jetzt wohl erging? Vielleicht hatte sie noch nicht mal bemerkt, dass er die Stadt verlassen hatte.
Nach scheinbar ewigem Grübeln überkam ihn aber doch die Müdigkeit und so schlief er durch, bis die ersten Sonnenstrahlen des nächsten Tages auf sein Gesicht fielen.
Langsam öffnete er die Augen und atmete tief die kühle Waldluft ein. Er kletterte vom Baum hinunter, zog seine Schuhe aus und lief barfuß durch das vom Morgentau nasse Gras. Schon immer hatte er die idyllische Stille der Natur genossen. Es wirkte so friedlich, so beruhigend.
Er öffnete seine Tasche, holte etwas von dem Essen heraus, das seine Mutter ihm eingepackt hatte und setzte kauend seinen Weg fort.
Am späten Nachmittag trat er zögerlich durch das Tor einer ihm unbekannten Stadt. Sie war ebenso klein wie die, aus der er stammte und doch war alles so anders. Fremde Straßen, fremde Menschen, die ihn, der für sie fremd war, im Vorbeigehen genau musterten.
Einen Augenblick blieb er stehen und sah sich um. Er musste die Schmiede finden und nach Arbeit fragen, doch jetzt, wo er an seinem Zielort angekommen war, fehlte ihm der Mut.
Ein letztes Mal atmete er tief durch und begann dann die Gassen nach der Schmiede abzusuchen. Doch leider erfolglos.
»Ich werde wohl jemanden fragen müssen«, dachte er sich und drehte den Kopf zur Seite. Sein Blick fiel auf einen älteren Mann, der mit einem Bierkrug in der Hand vor einem Wirtshaus saß. Langsam ging er auf ihn zu.
»Verzeihung«, sagte er und der Mann sah auf. »Ich suche die Schmiede. Können Sie mir sagen, wo ich die finden kann?«, fuhr er fort und lächelte den Mann freundlich an. Der musterte Narai von oben bis unten und blieb zum Schluss an dessen Augen hängen. Kurz trat Schweigen ein.
Der Mann hob den Arm und zeigte eine schmale Gasse entlang. Narai sah in die Richtung, in die der Arm zeigte.
»Wenn du am Ende der Straße angekommen bist, musst du dich links halten«, nuschelte er und senkte den Arm wieder.
»Vielen Dank«, antwortete Narai und machte sich auf den Weg. Der alte Mann sah ihm nach, bis er aus seinem Blickfeld verschwunden war.
Nach wenigen Minuten hatte Narai die Schmiede erreicht, wartete dann jedoch zögernd vor der Tür, bis diese plötzlich von innen geöffnet wurde. Der Schmied trat heraus. Als er Narai sah, blieb er verwundert stehen und starrte ihn an.
»Was willst du?«, fragte er nach einem kurzen Moment der Stille.
»Verzeihung. Sind Sie der Schmied dieser Stadt?«, fragte Narai verunsichert.
»Der bin ich«, war die knappe Antwort des großen, beleibten Mannes.
»Ich bin ebenfalls Schmied und auf der Suche nach einer Anstellung«, erklärte Narai höflich.
»Bei mir wirst du keine finden. In diesem verwahrlosten Nest hat kein Mensch die nötigen Taler, um einen Schmied zu bezahlen und kein Schmied kann sich somit einen Gesellen leisten«, antwortete der Mann frustriert und wollte gehen.
»Ich bin wirklich sehr gut«, sagte Narai etwas mutiger.
»Hör mal zu, Kleiner«, sagte der Schmied und legte einen dreckigen Arm um Narais Schultern. »Es ist vollkommen egal, wie gut du bist. Ich kann dich nicht gebrauchen. Ich habe selbst für mich kaum Arbeit, was also solltest du hier den ganzen Tag tun?«
Narai nickte traurig, löste sich aus der Umarmung und trat einen Schritt zurück. »Danke für Ihre Zeit«, sagte er höflich und ging zurück zum Wirtshaus, an dem er kurz zuvor vorbeigekommen war. Er öffnete die Tür und trat ein. Seine Mutter hatte ihm ein bisschen Geld mitgegeben. Es war nicht viel, doch eine Weile würde er damit zurechtkommen. So konnte er sich für die Nacht ein warmes Bett und etwas zu essen leisten.
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